Am Ziel angekommen

Ein ganzes Dorf ausgelöscht

Der dritte Tag auf Sri Lanka stand für die Hauensteiner THW-Helfer Manfred Steigner und Andreas Wilde sowie für PZ-Redakteur Holger Keller ganz im Zeichen der unmittelbaren Folgen der Flutkatastrophe. Auch das Waisenhaus in Pandiruppu, das durch die Spendengelder aus der Südwestpfalz wieder aufgebaut werden soll, konnte inspiziert werden. Unübersehbar sind auf dem rund 40 Kilometer langen Küstenabschntt zwischen Batticaloa und Kalmunai die schweren Schäden, die der Tsunami am zweiten Weihnachtstag des vergangenen Jahres verursacht hat.

Zerstörte Häuser, Flüchtlingslager und die überall aufgestellten schwarzen Wasserfässer zeugen von dem Ausnahmezustand, der an der Ostküste Sri Lankas immer noch herrscht. Vorbeibrausende Geländewagen der Vereinten Nationen, vom Internationalen Roten Kreuz, Ärzte ohne Grenzen, Care oder World Vision zeugen weiter von der internationalen Hilfe, die weiter auf Hochtouren läuft. Auch kleinere Organisationen wie etwa Wyke oder „Islamic Relief“ beteiligen sich, wie unschwer auf der Beschriftung der Wasserfässer zu erkennen ist.

Aber die Behebung der Schäden macht Fortschritte. Das ist zum einen zu erkennen an den umtriebigen Arbeiten beim Straßen- und Brückenbau – sämtliche weggespülte Querungshilfen sind zumindest provisorisch wieder hergestellt – , aber auch beim Wiederaufbau von zerstörten Häusern. In Batticaloa beispielsweise stehen schon wieder viele der früheren Häuser, wurden Fenster wieder eingebaut und weggerissene Wände zugemauert. Die US-Marines, die hier bei den Bergungs- und Aufräumarbeiten mithalfen, bauten sogar eine Kirche wieder auf.

Ganz anders die Situation auf der vorgelagerten Landzunge, die zum Festland hin eine breite Lagune, einen Binnensee, bildet. Dort brach sich nämlich die erste Welle und gab so den Bewohnern an Land Zeit, sich bis zum Eintreffen der zweiten Welle in höhere Regionen zu retten. Die Häuser auf der Halbinsel wurden allerdings weggerissen oder schwer beschädigt. Über 200 Tote gab es auf dem etwa einen Kilometer langen Abschnitt. Auf dem dahinter liegenden Festland, das übrigens nur wenige Stunden vor dem Eintreffen der südwestpfälzischen Delegation auch vom englischen Thronfolger Prinz Charles besucht worden war, gab es hingegen lediglich zehn Tote.

Sehr viel dramatischer ist die Situation in Kallar, etwa 25 Kilometer weiter südlich von Batticaloa. Hier wurde eine Fischersiedlung schwer in Mitleidenschaft gezogen, leben ihre früheren Bewohner in kleinen Zelten. Seitdem die Flutwelle eingeschlagen hat, können auch die vielen Brunnen nicht mehr genutzt werden: Sie liefern nur noch salziges Wasser. Ein schmaler Weg führt durch die Trümmerandschaft, angelegt von „Ärzte ohne Grenzen“. Auch die Zelte, in denen nun Schulunterricht abgehalten wird, wurden von einer Hilfsorganisation geliefert. „Alles, was bis jetzt an Hilfe gekommen ist, kam aus dem Ausland. Unsere Regierung hat noch nicht einmal einen Plan, wie es hier weiter gehen soll“, beklagt sich ein Bewohner, ein Tamile. Er sieht diese ethnische Herkunft, die in dieser Siedlung nahezu alle Menschen betrifft, als Ursache für das zögerliche Verhalten in Colombo. Warum jedoch die vielen Männer in dem Lager nicht selbst tätig werden, um Backsteine sauber zu hauen oder angeschwemmten Unrat und Kleidungsstücke beiseite zu räumen, bleibt unklar. Dabei sind die Tamilen, die während der englischen Kolonialzeit als willige Arbeiter auf den Teeplantagen aus Indien geholt worden, als arbeitsfreudiges Volk bekannt.

Weiter geht es nach Pandiruppu, noch einmal fünf Kilometer weiter südlich – eigentlich nur, um mit eigenen Augen zu sehen, in welchem Zustand sich das Waisenhaus „St. Mary’s Boys Home“, Ziel der THW/PZ-Spendenaktion, befindet. Erst nach mehrmaligem Nachfragen ist die Richtung klar. Bauarbeiten an der Straße verhindern jedoch ein Weiterkommen, das Reststück muss zu Fuß zurückgelegt werden. Ein Einheimscher übernimmt spontan die Rolle des Fremdenführers und tatsächlich kommt kurz darauf die Anlage in Sicht, in der bis zu der Flutwelle zuletzt 110 Waisenjungen vom kirchlichen Orden „Charity Brothers“ betreut wurden.

Das Haupthaus mit Schlafsaal im Obergeschoß steht noch – als eines der wenigen Gebäude in der Umgebung. Dafür wurden die Nebengebäude, in dem sich zum einen Kirche und Bibliothek, zum anderen die Toilettenanlage befanden, komplett zerstört. Mit Father Gregory, der bei den „Barmherzigen Brüdern“ für den Wiederaufbau zuständig ist, sollen am nächsten Tag die Details für die Verwendung der Spendengelder geklärt werden.

Aber der Führer, zu dem sich zwischenzeitlich ein zweiter gesellt hat, will noch etwas anderes zeigen: Nur wenige Meter neben dem Waisenhaus beginnt ein Trümmerfeld, das bis zum Strand reicht. Es war bis zum 26. Dezember ein kleines Fischerdorf mit fast 800 Einwohnern. Nur drei Männer, die zum Zeitpunkt der Flutwelle nicht in dem Dorf waren, haben überlebt. Über hunderte Meter liegen die Trümmer der völlig zerstörten Häuser verstreut. Die unbändige Gewalt der Flutwellen lässt sich nur erahnen – und macht dennoch betroffen. Die  Männer zeigen in die Wipfel der Palmen. Geknickte Äste deuten die Höhe der tödlichen Flut an: Sie hängen fast 15 Meter hoch. Sie zeigen auf einen Trümmerberg. Es war früher ein Kindergarten mit 47 Kindern – alle tot. Aber offensichtlich noch nicht alle geborgen, wie ein süßlicher Geruch verrät. Zu schwer wiegen die ineinander verkeilten Betonbrocken.

Auf dem Weg zurück zum Wagen eine weitere Baustelle. Vier größere Hallen werden dort errichtet. Als Behelfsunterkünfte für die Dorfbewohner, die wenigstens ihr Leben retten konnten, verrät einer der Arbeiter. Unser Fremdenführer lässt uns nicht eher gehen, ehe er uns bei sich zu Hause eine Cola spendiert hat. Auch ihm stand bei der Flut das Wasser bis zu den Fenstern. Aber das hat seiner Gastfreundschaft keinen Abbruch getan.

Pirmasenser Zeitung vom 02.03.05


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